Der Forderung nach Resilienz widerstehen

Resilienz ist die Fähigkeit sich an Umstände, die sich in Veränderung befinden, anzupassen. Sie bedeutet flexibel zu sein, biegsam, geschmeidig, nicht zu brechen, zu reagieren um Widrigkeiten unbeschadet zu überstehen. Im Konzept der Resilienz ist das Individuum der Ort an dem Anpassungsfähigkeit und Flexibilität gesucht und gefordert werden. Die Umstände, an die es sich anzupassen gilt, werden in diesem Konzept als ein Faktum, mit dem es umzugehen gilt, gesehen. Diese Umstände werden zwar als dynamisch und schnelllebig imaginiert, wirklich in Veränderung begriffen scheinen sie aber nicht. Die Intensität dieser Umstände ist keine Dynamik, die auf uns einprasselt, sondern eine ganz besondere Starrheit, die den Anschein einer ständigen Veränderung dadurch hervorruft, dass sich die Schlagzahl, mit der Anforderungen an uns gestellt werden, immer weiter erhöht. Man bekommt dabei nur schwer in den Blick, dass sich die Anforderungen aber nicht verändern und es sich tatsächlich nur um eine einzige Anforderung handelt. Nämlich in jedem Moment bereit zu sein sich anzupassen, anzuschmiegen und weiterhin zu funktionieren. Am besten soll man alles gleichzeitig machen und die Bereitschaft mitbringen morgen alles anders machen zu können.

Will man diesen Anforderungen gerecht werden — und das scheint aufgrund der unhinterfragten Umstände das Gebot der Stunde zu sein — heißt es, sich selbst zu optimieren. Ist man zu schwach für Selbstoptimierung heißt es, sich selbst zu helfen. Die Frage welches Selbst sich hier optimieren bzw. helfen soll, kommt nicht in den Blick. Genauso wenig wie die Frage warum sich dieses Selbst eigentlich ständig anpassen muss oder zumindest die Bereitschaft dazu signalisieren soll.

Die Forderung bzw. der wohl gemeinte Tipp zum Ausbau der eigenen Resilienz passiert vor dem hin- und angenommenen Hintergrund, den wir alle internalisiert haben, dass wir ein separiertes, von allen Mitmenschen und der Welt abgetrenntes, kleines Ego sind, das sich behaupten muss. Diese Denke haben wir nicht zuletzt den ÖkonomInnen zu verdanken, die seit Jahrzehnten behaupten, dass die menschliche Natur daraus besteht, immer rational und auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Was nachweislich nicht stimmt aber was viele Mainstream-ÖkonomInnen nach wie vor als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen akzeptieren. Die Geschichte vom „homo oeconomicus” ist zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung erstarrt, die an allen Ecken und Enden kracht.

Wir sind in einer existentiellen Zwickmühle gefangen: Wir sollen ständig bereit sein uns anzupassen und wir müssen unser vereinzeltes, kleines Ego verteidigen. Ständig in Bewegung und Veränderung sein zu müssen heißt nie zur Ruhe zu kommen. Nie zur Ruhe zu kommen bedeutet nicht zu sich finden zu können. Nicht zu sich zu finden bedeutet weiterhin zu glauben, dass man klein und vereinzelt ist. Als kleines Ego soll man bereit sein die Welt auf seinen Schultern zu tragen. Gelingt das nicht oder schlittert man dabei in eine Krise gibt es die Forderung nach Selbstoptimierung und Selbsthilfe. Was nicht so sehr bedeutet, dass man sich selbst optimieren oder helfen soll — was noch relativ harmlos wäre — sondern, dass das eigene Selbst, also das was uns zu uns macht, optimierungs- und hilfsbedürftig ist, also entweder ineffizient oder beschädigt.

Gerne werden heute in diesem Kontext verwässerte Varianten des Buddhismus und des Stoizismus als Anleitungsphilosophien für diese Problemlage präsentiert. Die Spiritualität, die beim Buddhismus offen verdrängt werden muss und beim Stoizismus einfach ignoriert werden kann, wird entweder kommodifiziert und als Räucherstäbchen, Online-Kurs, Totem oder Klangschale verkauft oder es wird behauptet, dass diese Traditionen nie spirituell waren. Hat man die Dimension der Spiritualität erstmal erfolgreich dem Markt zugeführt, verdrängt oder als lächerlich erklärt, fällt es leicht diese Denk- und Praxisschulen in den Dienst der ständigen Anpassung zu stellen.

Mit einem Schmalspur-Buddhismus lässt sich etwa behaupten: „Dich gibt es gar nicht, also pass dich an, denn es gibt ja nichts, das sich anpassen müsste.” Mit einem Schmalspur-Stoizismus lässt sich behaupten: „Die Umstände mögen zwar nicht so toll sein aber ein Grund sich zu beschweren ist das noch lange nicht. Sei hart!” Selbstfindung und erst recht Selbstermächtigung sieht anders aus.

Dabei würde es sich lohnen tiefer in diese Denkschulen einzusteigen. Sie sind nämlich nicht dafür gedacht einzelne Individuen bei der Bewältigung immer größerer Herausforderungen anzuleiten, sondern sie bieten einen Erklärungsansatz dafür wie man das Verhältnis zwischen Individuum, Mitmenschen und Welt ganzheitlich denken kann.

Thich Nhat Hanh etwa, ein Zen-Meister und Lehrer, betont immer wieder das was er als „Intersein” bezeichnet. Er will einem dabei helfen zu erkennen, dass man nicht nur interdependent ist, also von anderen abhängig, sondern, dass man nur ist weil es andere und anderes gibt, man “inter-ist”. Dazu bringt er ein Beispiel: Eine Blume besteht ausschließlich aus Nicht-Blumen-Elementen. Würde man alle Nicht-Blumen-Elemente, wie Wasser, Sonne, Erde etc., wegnehmen, gebe es keine Blume mehr. Und so sollen wir versuchen auch uns selbst zu sehen. Das meinen BuddhistInnen damit wenn sie sagen, dass wir leer sind, dass es uns eigentlich nicht gibt. Unser kleines, starres, von anderen abgetrenntes Ego gibt es nicht. Es ist eine Illusion. Ein weiteres Beispiel von Thich Nhat Hanh, das uns helfen soll uns selbst zu erkennen ist das eines leeren Glases. Ein leeres Glas ist deshalb ein Glas weil es Wasser aufnehmen kann. Könnte es kein Wasser aufnehmen, wäre es kein Glas. Man kann aber nicht sagen, dass es das Glas nicht gibt, sondern nur, dass es leer ist. Er meint wir sollten versuchen uns selbst so zu sehen. Wir sind der Ort an dem sich die Welt aufhalten kann. Der Ort, durch den die Welt hindurch geht. Der Ort, durch den die Welt einen Ausdruck findet.

So betrachtet kann man also eben nicht sagen, dass es uns nicht gibt, sondern nur, dass wir nicht so sind wie wir glauben zu sein. Die versprochene Befreiung liegt im Buddhismus also nicht darin, dass man sich verändert, sondern darin zu erkennen, dass man schon immer ein anderer war und in jedem neuen Moment ein anderer ist und wird. Der Imperativ sich ständig ändern zu müssen, der implizit in der Resilienz vorhanden ist, macht so keinen Sinn mehr. Es gibt keinen festen Kern, der reagieren und sich anpassen müsste, der flexibel und geschmeidig sein muss. Ständige Veränderung passiert von alleine. Alles ändert sich ständig, meinen die BuddhistInnen. Man verändert sich weil man eben „leer” ist und aus Nicht-Ich-Elementen besteht. Man „ist”, wenn man so will, die Veränderung selbst. Nicht Ich bin in ständiger Bewegung, sondern das was durch mich einen Ausdruck findet, ist in ständiger Bewegung. Ich, als „leeres” Gefäß, bleibe somit immer gleich. Der Gegensatz zwischen einem kleinen Ego, das sich anpassen muss und den Umständen, an die es sich anzupassen gilt, kommt in dieser Denkweise ganz einfach nicht vor. „Intersein” ist in erster Linie eine Idee, die man sich genauer ansehen und überprüfen kann. Was aber heute vergessen scheint ist, dass auch die Idee des „homo oeconomicus” eben genau das ist: Eine Idee. Neuere Forschung stützt außerdem immer öfter die Idee des „Interseins” im weitesten Sinne und immer weniger die Idee des „homo oeconomicus”.

Soweit der Buddhismus. Der Platz reicht hier nicht aus um genauer in diese Überlegungen einzusteigen. Sie zeigen uns aber, dass man über die Welt und seinen Platz darin radikal anders nachdenken kann bzw. es so überhaupt erst möglich wird sich selbst zu fragen wie das Verhältnis zwischen einem selbst und der Welt eigentlich ist. Diese Erfahrung kann uns dabei helfen auch über die Ansprüche, die an uns gerichtet werden, anders nachzudenken. Wie gesagt wird mit der Forderung nach Resilienz erwartet, dass man sich selbst an die Umstände, die von außen auf einen einwirken, anpasst. Hier herrscht das Bild vor, dass ich als ein Ich, der Welt, die „da draußen” ist, gegenüberstehe. Das entweder ich oder die Welt sich verändern muss, wenn sich etwas verändern soll. Dass ich mich ohne die Welt „da draußen” aber gar nicht denken kann bzw. es mich, wenn man Thich Nhat Hanh glauben will, ohne die Welt „da draußen” gar nicht geben würde, kann in einer dualistischen Interpretation à la „Ich vs. die Welt” nicht in den Blick kommen.

Ich möchte behaupten, dass es heutzutage angebrachter wäre Resistenz anstatt Resilienz zu fordern. Also Widerstand, Standhaftigkeit und Vehemenz. Es sind ja gerade die Umstände selbst, die uns weismachen wollen, dass wir uns an sie anpassen müssen. Es wird behauptet, dass wir uns an schnelllebige Umstände anpassen müssen. Diese Behauptung ist aber wiederum nicht mehr als ein Umstand an den wir uns anpassen sollen. Ich dagegen möchte behaupten, dass jetzt mal die Umstände an der Reihe wären, sich an uns als Menschen anzupassen. Die Frage wie wir uns als Menschen an Umstände anpassen sollen würde ich ablösen durch die Frage wie wir die Umstände so anpassen können, dass sie uns als Menschen, als einer weltweiten Gemeinschaft dienen. Umstände sollten menschliches Leben und menschliches Zusammenleben fördern und nicht unter Druck setzen.

Denn auch das wird in der Diskussion über Resilienz oft ausgeblendet: Die Umstände, an die es sich anzupassen gilt, entstehen vor allem durch menschliches Verhalten und Handeln. Oft entstehen unvorhergesehene oder nicht planbare Konsequenzen. Dennoch lassen sich die heutigen großen Krisen auf menschliches Verhalten und Handeln bzw. auf den großen Anteil, den wir Menschen daran haben zurückführen. Es liegt zwar außerhalb unserer Zugriffsmacht, dass sich die Erde umso mehr erwärmt, je mehr CO2 ausgestoßen wird. Das ist ein Naturgesetz. Dass wir aber immer mehr CO2 ausstoßen ist direkt auf unser Verhalten und Handeln zurückzuführen. Über den Umweg des Naturgesetzes „mehr CO2 in der Atmosphäre -> Erderwärmung” haben wir uns also selbst in die Lage gebracht in der wir jetzt sind bzw. wissen wir, was wir tun müssten, um die Umstände, die uns als Klimakrise entgegentreten zu ändern.

Resistenz also. Resistenz allerdings, die außerhalb einer dualistischen Logik liegt, in der sich ein Individuum der Welt gegenübersieht. Widerstand also nicht in erster Linie gegen die Umstände, sondern gegen die Behauptung, dass an den Umständen nichts zu ändern ist. Widerstand gegen einfache und seit Jahrzehnten gleiche Behauptungen und Erklärungen wie etwa die, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen muss. Warum, könnte man fragen. Und dann könnte man noch fragen, ob es nicht Wirtschaftssysteme geben könnte, die keinem Wachstumszwang unterliegen. Widerstand gegen ein Erklärungsmodel in dem Wachstum als unverzichtbar dargestellt wird eröffnet erst den Freiraum, der nötig ist, um über andere Wirtschaftssystem überhaupt nachdenken zu können. Ganz zu schweigen davon sie auszuprobieren.

Widerstand auch gegen die Idee, dass wir vereinzelt und egoistisch sind. Widerstand gegen die Idee, das wir uns an Umstände anpassen müssen, die als unabänderlich gelten, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind. Es muss ein menschlicher Widerstand sein der erkennt, dass man nur durch und für eine Gemeinschaft existiert. Umstände, die uns unmenschliches abverlangen, müssen als solche benannt werden können. Mit der Erzählung von vereinzelten Individuen haben wir uns gemeinsam in die Situationen gebracht in der wir heute sind. Mit einer anderen Erzählung, etwa der des „Interseins”, können wir uns eventuell aus dieser Situation befreien. Eines scheint aber klar: Wenn wir weiter den Regeln der alten Erzählung folgen, werden wir die Probleme, die aus ihnen entstanden sind, nicht lösen können. Albert Einstein hat angeblich gesagt, dass man Probleme nicht auf der Ebene lösen kann auf der sie entstanden sind. Wenn uns ein überbordender Individualismus in Kombination mit einem auf Wachstum und Verbrauch ausgelegten Wirtschaftssystem in die Lage gebracht hat in der wir jetzt sind, wird die Lösung nicht darin liegen, dass immer mehr Individuen resilienter werden und wir die Idee des Wachstums und Verbrauchs einfach auf andere Bereiche verschieben müssen. Denn eines muss noch gesagt werden: So begrüßenswert es individuell auch sein mag resilient zu sein, ist sich die aktuelle Forschung dazu nicht einig, ob man Resilienz überhaupt auf- oder ausbauen kann oder ob sie nicht ein relativ fixes Persönlichkeitsmerkmal ist. Die Frage, ob es Wachstum und Verbrauch für eine gerechte Wohlstands-Ökonomie braucht, ist übrigens auch offener als man glauben möchte.

Selbstbehauptung als Widerstand könnte ein erster Schritt zu ehrlicher Selbsterkenntnis sein. Bevor wir noch wissen, was es eigentlich ist, das wir verteidigen, sollten wir es dennoch machen, um überhaupt finden zu können, was es zu finden und verteidigen gibt. Und wer weiß, vielleicht entdecken wir tatsächlich, dass es uns nur gibt weil es die anderen gibt. Vielleicht entdecken wir, dass wenn wir andere verletzen, uns selbst verletzen. Dass Leben auf einem zerstörten Planeten zwar möglich ist aber eben ein zerstörtes Leben ist. Dass ein Leben, das auf Verbrauch beruht, ein verbrauchtes Leben ist. Unter Umständen könnten wir Umstände hervorbringen für die es sich lohnt zu leben und die das Schöne im und am Leben hervorbringen und fördern. Unter Umständen könnten wir an diesen neuen Umständen arbeiten.

Das Beitragsbild wurde mit wombo.art erstellt.

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